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Mehr InformationenReaktanz-Theorie
Reaktanz: Psychologische Widerstände gegen den Verlust von Autonomie
Die Reaktanz-Theorie wurde 1966 von Jack W. Brehm entwickelt und später gemeinsam mit Miron um sozialpsychologische Perspektiven erweitert (Miron & Brehm, 2006). Sie beschreibt einen motivationalen Zustand, der entsteht, wenn Individuen eine Einschränkung ihrer Entscheidungsfreiheit wahrnehmen. Dabei geht es nicht primär um die objektive Maßnahme, sondern um deren subjektive Deutung als Eingriff in persönliche Autonomie.
Reaktanz manifestiert sich, wenn das Bedürfnis nach Selbstbestimmung verletzt wird. Sie zielt darauf, die bedrohte oder verlorene Freiheit wiederherzustellen. Die Intensität dieses inneren Widerstands hängt davon ab, wie relevant die eingeschränkte Freiheit für die betroffene Person ist und wie gerechtfertigt der Eingriff erscheint. Reaktanz zeigt sich in organisationalen Kontexten nicht nur offen, etwa durch Widerspruch oder Leistungsverweigerung, sondern auch verdeckt, etwa in Form zögerlicher Kooperation oder ironischer Distanzierung.
Im Führungsalltag lässt sich Reaktanz häufig bei strukturellen Veränderungen beobachten, etwa wenn neue Kontrollmechanismen eingeführt werden. So etwa im Fall einer Organisation, die eine minutengenaue Arbeitszeiterfassung implementiert, auch in bislang durch Vertrauen geprägten Bereichen. Obwohl die Maßnahme aus Sicht der Unternehmensleitung durch rechtliche Rahmenbedingungen und das Prinzip der Fairness begründet ist, erleben viele Mitarbeitende sie als Ausdruck von Misstrauen. Die Reaktion ist entsprechend: Zeitangaben werden verzögert oder ungenau erfasst, informelle Gespräche transportieren Skepsis, das System wird subtil umgangen.
Die Ursache dieser Dynamik liegt nicht in der Maßnahme selbst, sondern in der unterstellten Intention. Der Verlust wahrgenommener Autonomie erzeugt Widerstand. Ein wirkungsvoller Umgang mit dieser Reaktanz besteht darin, die betroffenen Personen frühzeitig in den Gestaltungsprozess einzubeziehen. Beteiligung mindert nicht nur den Reaktanzimpuls, sondern ermöglicht die Umdeutung der Veränderung, von einem fremdbestimmten Eingriff hin zu einem selbstverantwortlich mitgestalteten Schritt.
Quelle
Miron, A. M., & Brehm, J. W. (2006). Reactance theory – 40 years later. Zeitschrift für Sozialpsychologie, 37(1), 9–18.