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Mehr InformationenVerhaltensparadox
Verhaltensparadox nach Miron und Brehm – Wenn Veränderungsdruck Abwehr erzeugt
Das von Miron und Brehm im Jahr 2006 beschriebene Verhaltensparadox benennt ein zentrales Phänomen in der Motivationspsychologie. Wenn Menschen erleben, dass ihr Entscheidungsspielraum durch äußeren Einfluss eingeschränkt wird, reagieren sie häufig nicht mit Anpassung, sondern mit einer paradoxerweise verstärkten Bindung an das ursprüngliche Verhalten. Die intendierte Veränderung bleibt aus oder wird sogar unterlaufen, nicht weil sie inhaltlich unplausibel wäre, sondern weil der wahrgenommene Verlust an Autonomie ein Gegenmotiv aktiviert.
Theoretisch basiert dieses Konzept auf der Reaktanztheorie, die davon ausgeht, dass Einschränkungen als Bedrohung der persönlichen Freiheit erlebt werden. Diese Bedrohung löst einen motivationalen Zustand aus, der darauf abzielt, die eingeschränkte Freiheit wiederherzustellen. Die paradoxe Wirkung entsteht dann, wenn gut gemeinte oder rational nachvollziehbare Veränderungen Abwehr erzeugen, nicht weil sie falsch sind, sondern weil sie als übergriffig wahrgenommen werden.
Beispiel aus dem Führungsalltag
Eine Organisation möchte den E-Mail-Verkehr reduzieren und führt verbindliche Kommunikationszeiten ein. Die Maßnahme wird sachlich mit Blick auf Effizienz, Gesundheit und konzentriertes Arbeiten begründet. Einige Mitarbeitende reagieren jedoch mit passivem Widerstand. Sie senden weiterhin Mails außerhalb der definierten Zeitfenster, kommentieren die Regelung spöttisch oder suchen alternative Kanäle, um sich der Regelung zu entziehen.
Dieses Verhalten ist kein Ausdruck mangelnder Einsicht, sondern Ergebnis eines psychologischen Spannungsfelds. Die Einschränkung wird nicht als Unterstützung, sondern als Eingriff in die eigene Gestaltungshoheit erlebt. Die paradoxe Folge ist, ausgerechnet das Verhalten, das reguliert werden soll, wird wieder verstärkt gezeigt.
Für Führungskräfte ergibt sich daraus eine wichtige Erkenntnis. Veränderungskommunikation muss nicht nur sachlich überzeugend, sondern psychologisch tragfähig sein. Das bedeutet, Entscheidungsräume bewusst zu gestalten, Beteiligung zu ermöglichen und Ambivalenz zuzulassen. Nicht durch Kontrolle entsteht Verhaltensänderung, sondern durch einen Rahmen, der individuelle Autonomie respektiert und gleichzeitig Orientierung bietet.
Quelle
Miron, A. M., & Brehm, J. W. (2006). Reaktanz als Motivation. In J. Heckhausen & H. Heckhausen (Hrsg.), Motivation und Handeln (2. Aufl., S. 579-604). Heidelberg, Springer.