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Mehr InformationenVertrauensmodell
Vertrauen im organisationalen Kontext: Ein rationaler Aufbauprozess
Das Modell von Mayer, Davis und Schoorman (1995) bietet eine differenzierte Grundlage zur Analyse und Gestaltung von Vertrauen in Organisationen. Im Zentrum steht die Frage, unter welchen Bedingungen eine Person bereit ist, einer anderen Vertrauen entgegenzubringen, insbesondere in asymmetrischen Konstellationen wie denen zwischen Führungskräften und Mitarbeitenden.
Das Modell identifiziert drei wesentliche Merkmale, die eine Vertrauensentscheidung beeinflussen: Fähigkeit, Wohlwollen und Integrität. Fähigkeit beschreibt die wahrgenommene Kompetenz der anderen Person, also die Einschätzung, ob sie über das erforderliche Wissen und Können verfügt. Wohlwollen bezieht sich auf die Überzeugung, dass die andere Person das eigene Interesse berücksichtigt und nicht ausschließlich eigennützig handelt. Integrität schließlich umfasst die Erwartung, dass sie sich an geteilte Werte, Normen und Vereinbarungen hält.
Vertrauen entsteht in diesem Modell nicht als emotionaler Reflex oder bloß als Sympathieeffekt. Vielmehr handelt es sich um eine rationale Abwägung, die durch individuelle Risikobereitschaft und den situativen Kontext mitgeprägt wird. Besonders relevant wird diese Dynamik bei Delegationsentscheidungen, im Umgang mit Fehlern oder in der Offenheit für kritisches Feedback.
Ein Beispiel aus der Führungspraxis verdeutlicht die Anwendung:
Ein neuer Bereichsleiter übernimmt ein Team, das zuvor stark kontrolliert wurde. In der Anfangsphase begegnet ihm Zurückhaltung und Skepsis. Die Teammitglieder agieren defensiv, kommunizieren selektiv und dokumentieren übergenau. Anstatt direkt auf Effizienz oder Leistung zu drängen, wählt der Bereichsleiter einen strategisch vertrauensbildenden Ansatz. Er demonstriert seine fachliche Kompetenz durch präzise Analysen und transparente Entscheidungen (Fähigkeit), zeigt echtes Interesse an den Anliegen des Teams und gibt differenziertes Feedback (Wohlwollen) und hält getroffene Zusagen ein, auch dann, wenn dies auf kurzfristige Vorteile verzichtet (Integrität).
Diese konsequente Haltung verändert schrittweise die Beziehungsdynamik. Mitarbeitende beginnen, Themen proaktiv anzusprechen, eigene Ideen einzubringen und Unsicherheiten zu benennen. Vertrauen zeigt sich dabei nicht als spontaner Zustand, sondern als das Ergebnis gezielter, konsistenter Führungsentscheidungen.
Quelle:
Mayer, R. C., Davis, J. H., & Schoorman, F. D. (1995). An integrative model of organizational trust. Academy of Management Review, 20(3), 709–734.